Maren Pasligh über die Arbeit der Zukunft und die Lehren aus Corona.
Schon 1856 demonstrierten in Australien am 1. Mai die Arbeiter für den Achtstundentag. Die Forderung wurde dreißig Jahre später in Amerika aufgegriffen und mündete in blutigen Protesten. In Erinnerung daran rief die zweite Internationale 1889 den neuen „Kampftag der Arbeiterbewegung“ aus, im Folgejahr gab es am 1. Mai weltweite Proteste und Streiks.
Die Forderung nach besseren, menschlicheren Arbeitsbedingungen ist keine neue, aber sie ist so aktuell wie eh und je: Gender pay gap, Niedriglöhne und mangelnde Flexibilität sind Themen, die auch heute noch die Massen bewegen. Die Digitalisierung hat uns Möglichkeiten des effektiveren und flexibleren Arbeitens gebracht und viele Arbeiten gänzlich mechanisiert. Um den Lebensstandard zu halten, müssten Menschen heutzutage also viel weniger arbeiten als noch vor 100 Jahren. Dies lässt Rufe nach der 30 Stunden Woche und Homeoffice laut werden.
6 Stunden arbeiten am Tag, oder nur vier Tage die Woche – Utopie? Zahlreiche deutsche und internationale Unternehmen haben den Test gemacht – oft bei gleichbleibendem Lohn – und durchweg positive Resultate erzielt: Zufriedenere Arbeitnehmer, aber auch größere Leistung trotz der verkürzten Zeit, weniger Krankschreibungen, mehr Umsatz. Es wäre zweckverfehlt, hier eine Aufzählung dieser Unternehmen zu liefern, weil die Namen ohne genaueres Bild von der Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelungen ja doch wenig sagen, empfehle aber jedem Interessierten, einmal kurz zu recherchieren. Die Erfahrung zeigt: die 30 Stunden Woche ist keine kommunistische Utopie, sondern eine wirtschaftlich profitable und sozial gewinnbringende Maßnahme, die tatsächlich funktionieren kann.
Werfen wir einen Blick auf das Homeoffice: Noch vor wenigen Monaten schien der heute gelebte Alltag Vieler ein Ding der Unmöglichkeit, kaum ein Unternehmen ließ Heimarbeit in größerem und regelmäßigem Umfang zu. Corona hat uns, bei all dem Leid, Stress und den finanziellen Nöten, die es verursacht hat, gezeigt, was möglich ist. 2018 arbeiteten nur etwa 5% der Deutschen normalerweise von zu Hause – in Finnland, den Niederlanden, Luxemburg oder Österreich waren es mindestens doppelt so viele. Laut einer Umfrage des Bundesverbands Digitale Wirtschaft können sich aber 75% der über 1000 befragten Angestellten die Arbeit im Homeoffice zumindest während der Krise vorstellen und erste Schätzungen liegen bei 25% tatsächlich im Homeoffice Arbeitenden. Unser Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, ein Recht auf Homeoffice zu schaffen.
Und was bringt uns das, außer Verlust an persönlichen Gesprächen mit Kollegen und Verbindungsproblemen bei digitalen Konferenzen?
Wenn der Arbeitsweg von mehreren Kilometern auf einmal den Flur runter schrumpft, sparen wir Zeit und schonen die Umwelt. Kinder und Karriere sind leichter zu verknüpfen und Eltern fallen, auch wenn das Kind krank zu Hause bleiben muss, auf der Arbeit nicht aus. Mütter müssen nicht monate- oder jahrelang zur Hausfrau werden, Fachwissen, Erfahrung und damit die Chance auf eine größere Karriere verlieren. Und eine Präsenzarbeitszeit zum direkten Austausch ist durch grundsätzliches Homeoffice nicht ausgeschlossen.
Bei all dieser Euphorie sollten wir jedoch diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, bei denen Branchenbedingt keine Heimarbeit möglich ist (zum Beispiel handwerkliche oder soziale Berufe). Damit diese häufig ohnehin schon an Nachwuchsmangel leidenden Berufsgruppen nicht weiter an Attraktivität verlieren und zur Unterstützung der dort Arbeitenden, müssen andere Ausgleichsmaßnahme gefunden werden, die auch hier Flexibilität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern.
Eine weitere Lehre aus Corona ist diejenige, über die nun ja schon seit Jahren gesprochen wird: Kranken- und Altenpflege, Lebensmitteleinzelhandel sowie viele andere Berufszweige sind „systemrelevant“ und verdienen bessere Bezahlung, kürzere Schichten und mehr Kollegen, die sich Aufgaben teilen können. Dass es dafür eine Krise braucht, ist traurig. Wenn nach der Krise alles beim Alten bleibt, hat unsere Gesellschaft versagt.
Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen ist noch lange nicht abgeschlossen. Es gibt viele Stellschrauben, an denen noch kräftig gezogen werden kann. Wir sollten keine Angst vor scheinbar utopischen Zielen haben, sondern jeden Tag versuchen, das Beste für Alle herauszuholen. Wir können gemeinsam optimistisch in die Zukunft gehen.
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