Unser Vorsitzender, Eric Schmahl, zu den gestrigen Geschehnissen in Thüringen.
Die Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen war eine Zäsur. Jeder, der uns etwas anderes erzählen möchte, ist unglaubwürdig!
Aber von Beginn an: Nach der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober kristallisierte sich eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen heraus, eine Koalition, die schon in den vorherigen Jahren unter Bodo Ramelow die Geschicke in Thüringen geleitet hatte.
Bei der nun anstehenden Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen war klar, dass der amtierende Ministerpräsident in den beiden ersten Wahlgängen durchfallen würde, da man hier noch die absolute Mehrheit (50%+1) hinter sich vereinigen musste. Da rot-rot-grün jedoch nur 43 der nötigen 46 Abgeordneten hinter sich vereinigen konnte, musste man bis zum dritten Wahlgang abwarten, bei dem dann lediglich eine relative Mehrheit benötigt wurde.
Und hier geschah es dann: Thomas Kemmerich stellte sich zur Wahl auf. Mutmaßlich, um als „Gegengewicht“ zu den beiden Kandidaten der „politischen Ränder“ (Bodo Ramelow von den Linken und Christoph Kindervater von der AfD) noch einen Kandidaten der „bürgerlichen Mitte“ zur Wahl zu stellen. Das erste Mal wird versucht, den Bürger zu verarschen: Die Linke in den neuen Bundesländern sind mitnichten mit den Linken der alten Bundesländer zu vergleichen. Während Höcke und seine Thüringer Fraktion ganz klar den rechten Rand der Bevölkerung abzubilden versuchen, ist die Linke von Bodo Ramelow mehr eine politische Kraft der gesellschaftlichen Mitte. Hier also von einer Alternative der „bürgerlichen Mitte“ zu reden ist absurd, denn eben jene gab es zuvor schon!
Bei der Wahl stimmten nun 45 Abgeordnete für Thomas Kemmerich, 44 für Bodo Ramelow und 1 Abgeordneter enthielt sich. Somit war erstmals seit Reinhold Maier, der in der Nachkriegszeit in Baden-Württemberg Ministerpräsident war, ein Liberaler zum Landeschef gewählt worden. Was man dazu sagen muss: Auch dies war ein kolossaler Betrug am Wählerwillen. Wenn jemand zum Ministerpräsidenten gewählt wird, der als Spitzenkandidat gerade mal 73 Stimmen über der 5%-Hürde gelandet ist, dann ist irgendetwas gewaltig schiefgelaufen.
Geht man davon aus, dass bei Grünen, Linken und SPD jeder Abgeordnete seinem Kandidaten Bodo Ramelow treu geblieben ist, lässt sich nun also folgendes konstatieren: 45 der 48 Abgeordneten von CDU, FDP und AfD sorgten dafür, dass Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Da der Kandidat der AfD keine einzige Stimme erhielt, kann man guten Gewissens davon ausgehen, dass die Fraktion das AfD geschlossen Thomas Kemmerich gewählt hat. Ein weiteres Mal wird versucht, Betrug am Wähler zu begehen: Direkt nach seiner Wahl positionierte sich Kemmerich absolut Anti-Höcke und Anti-AfD und beteuerte, dass es keine Form der Absprache gab. Wer jedoch einmal in das große Geschäft der Politik geblickt hat weiß, dass das nur gelogen sein kann. Die AfD wird nicht plötzlich die Eingebung gehabt haben, dass Kemmerich ein besserer Kandidat sei, als ihrer das war. Mir fällt es zumindest äußerst schwer zu glauben, dass es hier vorher keinerlei Absprachen gab. Aber auch wenn es eben diese nicht gab, wiegt folgender Satz schwer: „Ich nehme die Wahl an“. Mit dem Bewusstsein also, dass die AfD nun der Königsmacher sein würde, nimmt ein Liberaler die Wahl an. Ein Dammbruch, ein Tabubruch, und der von Höcke und Co. lang ersehnte Anfang. 1928 wurde erstmals ein Ministerpräsident mit Hilfe von Hitlers NSDAP ins Amt gehievt, natürlich in Thüringen. Ab diesem Moment war die NSDAP auch damals salonfähig geworden und es ging steil bergauf.
Was kann Kemmerich geleitet haben? Absolute Ahnungslosigkeit? Wohl kaum. Politische Dummheit gepaart mit nicht-aufpassen im Geschichtsunterricht? Wäre möglich. Vielleicht auch einfach die pure Machtgeilheit? Auch das ist denkbar. Fakt ist: CDU und FDP machen sich zum Steigbügelhalter für jemanden, den man per Gerichtsurteil als Nazi bezeichnen darf.
Die Reaktionen der Parteioberen sind gespalten. Gerechtfertigtes Entsetzen bei Linken, SPD und Grünen. Kramp-Karrenbauer und Söder priorisieren Neuwahlen, um das Fiasko, das die eigenen Leute angerichtet haben, wieder rückgängig zu machen. Die AfD feiert und redet von einem historischen Tag. Und Lindner? Beteuert zunächst, dass er den Grundsatz seiner Partei, nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten, weiterhin stützt. Im gleichen Zug fordert er jedoch SPD, Linke und Grüne zur Zusammenarbeit für Thüringen auf. Hier muss ich erstmals fragen: Geht´s noch? Sich von Höckes Gnaden zum Ministerpräsidenten mauscheln, die Uhr dann auf 0 setzen, die Unterstützung der AfD vergessen und ab in die Zusammenarbeit mit dem demokratischen Spektrum. Irgendjemand muss in letzter Zeit den moralischen und geistigen Kompass der FDP zerstört haben.
Dass Kemmerich und seine 4 Mitstreiter nun ankündigen, den Landtag auflösen zu wollen und Neuwahlen anstreben, ist ein richtiger Schritt. Dennoch macht er die Ereignisse des gestrigen Tages nicht ungeschehen. Was bleibt ist das Bewusstsein, dass zwei Parteien, die sich selbst als Parteien der Mitte ansehen, sich zum Steigbügelhalter von Nazis machen ließen. Vielleicht hoffte man, dass der gesellschaftliche Aufschrei nicht allzu groß werden würde. Vielleicht hoffte man, dass die bisherige Regierungskoalition sich zusammenreißt und sich auf eine Zusammenarbeit unter Kemmerich hinreißen lässt. Erst als all diese Optionen zerschlagen waren und der gesellschaftliche Aufschrei sich bis ins Kanzleramt gezogen hat, als rot-rot-grün eine Zusammenarbeit kategorisch ablehnte, ruderte man zurück. Der Schaden, den diese politische Dummheit angerichtet hat, ist dennoch riesig und irreversibel.
Zu guter Letzt nun zur Bundespolitik. Vielfach ist zu hören, dass die SPD nun aus der GroKo aussteigen müsse, trotz der klaren Statements von Kramp-Karrenbauer und Söder. Die Wahl in Thüringen ist gelaufen, der Rubikon ist von CDU und FDP überschritten worden. Dessen muss die CDU sich bewusst sein und auch hier gegebenenfalls Konsequenzen ziehen bei jenen, die die Wahl von Kemmerich als den „Sieg der Mitte“ feiern. Nichtsdestotrotz ergibt sich für mich derzeit kein Grund, die Koalition im Bund in Frage zu stellen. Hätte sich die CDU-Parteispitze den Jubelschreien einiger ihrer Mitglieder angeschlossen, sähe die Thematik anders aus. Aber wir Sozialdemokraten haben uns jetzt nun mal zu dieser Koalition entschieden und können nicht beim geringsten Verdacht einen Austritt aus eben jener fordern. Das macht uns unglaubwürdig.
„Wehret den Anfängen“ hieß es immer. Dieser Anfang ist nun „geschafft“. Die Wählerinnen und Wähler von CDU und FDP müssen sich nun fragen, inwieweit ihre Parteien noch wählbar sind. Es gibt unzählige Tage, an denen man nicht gerade amüsiert ist, Sozialdemokrat zu sein. Tage wie heute machen mich aber stolz, Sozialdemokrat zu sein. Seit 1863 geben wir keinen Fußbreit den Nazis, den Radikalen. Komme was wolle, bei allen Konflikten in der Partei sind wir doch alle in einem vereint: Dem Kampf gegen Rechts!
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